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The Sequel – Maßstab aller Dinge

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Kennst Du noch dieses Gefühl:
Du hast die erste CD einer neuen Band entdeckt, kannst über Monate nichts anderes mehr hören und fieberst der Nachfolge CD dieser Band entgegen. Eines Tages ist es soweit, Du ergatterst die Fortsetzung und sehnst verzweifelt die Gefühle herbei, die damals der Vorgänger in Dir auslöste.

Tatsächlich plätschert die Musik so vor sich hin und Du suchst verzweifelt dieses mitreißende Gefühl, dass Dich damals anpeitschte, allen Freunden und Bekannten diese eine CD zum Geburtstag zu schenken.

Bedauerlicherweise erfüllt mich dieses Gefühl von Enttäuschung in den meisten Fällen, wenn ich Kunstprodukte käuflich erstehe.

Die Neuentdeckungen sind huij, die Fortsetzungen sind mau oder auch pfui.

Nun bin ich ein schwieriger Kunde, sehr kritisch und nicht so leicht zufrieden zustellen. Es gibt aber auch andere Gründe, warum die Fortsetzung für Künstler eine schwere Disziplin sein kann:

  • Zum Einen entwickeln sich die Kunden persönlich weiter und verändern fortlaufend ihren Geschmack.
  • Zum Anderen gibt es bei besonderer Kunst auch meistens Trittbrettfahrer, die einem diese Kunstgattung durch unglückliches Kopieren verderben, die einem aber auch mit formidabler Weiterentwicklung zeigen, was noch alles so möglich wäre. Vielleicht hat genau diese Erkenntnis Grunge- Legende Kurt Cobain dazu gebracht, sich eine Schrottflinte in den Mund zu stecken.
  • Dann ruhen sich Künstler auch gerne auf dem Erfolg aus, werden drogenabhängig oder konvertieren zum Buddhismus. So etwas ist natürlich keine gute Grundlage, seine persönlichen Neurosen weiterzuentwickeln und in etwas Tolles umzuwandeln, in Kunst, die berührt, wo der Funke einfach überspringt.
  • Mir fallen auf Schlag eine Menge Musiker ein, die die Fortsetzung als Disziplin nicht so gut beherrschen:

    Herbert Grönemeyer, war früher ein ausgesprochen authentischer Sänger, der aus einem so trivialen Kunstobjekt wie der Currywurst, ein Lebensgefühl ausquetschen konnte, dass den Zeitgeist einer ganzen Republik traf. Heute klingen seine gequetschten Laute eigentlich so, als ob er versuche, den Zeitgeist durch die regelmäßige Lektüre des Nachrichtenmagazins Der Spiegel aufzuschnappen.

    Was haben U2 früher in mir ausgelöst. Zwar hatte ich von dem Nordirlandkonflikt und einem Leben in Irland keine Ahnung, jedoch konnte ich beim Zuhören auch in meinem wohlbehüteten Schleswig Holstein die nordeuropäische Krise förmlich spüren. Leider hat auch U2 die Globalisierung voll erwischt. Bei dem ewigen Versuch, die Welt zu retten, ist gerade Bono sehr unglaubwürdig geworden. Er hätte mit der Befriedung Nordirlands in Rente gehen sollen.

    Selten kann ich mit der Fortsetzung oder gar dem Spätwerk eines Künstlers noch etwas anfangen. Im Bereich Pop/ Rock fällt mir vielleicht gerade mal Sting oder Jimi Hendrix (Spätwerk 😉 ) als Gegenbeispiele ein.

    Je anspruchsvoller die Kunst, desto eher kann ich mit den Fortsetzungen etwas anfangen.

    Jazzsänger/innen sind da vielleicht ein bisschen wie ein guter Wein: Je älter, desto besser!

    Die Krönung der musikalischen Weiterentwicklung sehe ich im Bereich der Klassik. Wer sich mal intensiv mit Mozart oder Bach beschäftigt hat, der weiß: Je fortgesetzter, desto besser. Und auch ein Pavarotti hat bis zum schweren Schicksal des Altersvibratos einen richtig guten Job gemacht.

    Nun muss ich mal die Kurve zur Fotografie kriegen.

    Sonntag war ich in meinem Lieblingsfotobuchladen und entdeckte in der Auslage den neuen Bildband von dem isländischen Fotografen Ragnar Axelsson.

    Wenn ich bedenke, wie ich 2005 auf Island Ragnar Axelssons ersten Fotoband entdeckte und diesen über Wochen in der völlig überfüllten Alubox meines Motorrades wie einen heiligen Gral sicher durchs isländische Gelände transportierte, dann steht das in einem so starken Gegensatz zu dem Gefühl, das Sonntag bei der Durchsicht dieses neuen Bildbandes aufkam.

    Dieses neue Buch ist es nicht wert, den Weg über die Autobahn nach Kiel zu finden.

    Wenn ich mal genauer nachdenke, dann fallen mir kaum irgendwelche Fotografen ein, die mich mit Fortsetzungen noch so begeistern konnten, wie mit dem ersten Bildband.

    Josef Hoflehner sind sicherlich gute Fortsetzungen gelungen, vielleicht auch noch Anton Corbijn.

    Aber denke ich an David La Chapelle, Frans Lantig oder Jim Brandenburg, dann ärgere ich mich sehr über das herausgeschmissene Geld für die Fortsetzungen.

    Wie seht ihr das? Können Fotografen Fortsetzungen? Oder sind die einfach irgendwann mal ausgebrannt?




    18 Comments

    1. 2010/12/30 at 16:39

      Andrea Schneider

      Antworten

      Ich habe es gerade bestellt und hüte die Seele des Nordens wie meinen Augapfel. Ich hatte irgendwo gelesen, die ersten seiten seien farbig, der Rest s/w.
      Fortsetzungen sind immer schwer, besonders wenn der erste Teil auf einem derart hohen Nivaeu liegt.
      Ich lasse mich überraschen – und wenn es “nur” ein Zeitdokument für unsere Kinder werden wird.

    2. 2010/12/19 at 06:10

      MarkusW

      Antworten

      Folgeprodukte sind immer schwierig. allerdings kenne ich viele Bands abseits des Mainstream, vor allem im Metal, denen eine Entwicklung gelingt und deren Erstlinge sehr gut, aber die Nachfolgewerke besser sind. Bei alternativen Musikrichtungen ist vielleicht die künstlerische Entwicklungsfreiheit größer, die vom Label zugelassen wird. Bestes Beispiel Metallica, die erst schlechter wurdfen, als sie mit dem Black Album Mainstream wurdfeen und das Label so viel Druck ausgeübt hatte. Dazu kommt der slebsterzeugte Druck, die vielen Fans nicht enttäuschen zu wollen, der bei “kleineren”, respektive unbekannteren Bands nicht so groß ist. Da bleibt einfach auch oft der Höhenflug aus. Mudvayne z.B. entwickelt sich seit 4 Alben stetig weiter und weiss immer wieder zu begeistern. Ähnlich kenne ich es auch bei Schriftstellern. Terry Pratchett ist der einzige weltbekannte Bestseller-Autor, den ich kenne, der über 40 Bücher eine stetig wachsende und selten enttäuschende kreative Entwicklung hinlegt. Dagegen kenne ich etliche unbekanntere Autoren, die das ebenfalls schaffen, da sie wahrscheinlich dem Erfolgsdruck nicht unterliegen und sich austoben können.
      Andererseits könnte es auch an Deinen emotionalen Zuständen liegen, in denen Du Dich befandest, als du das Kreativwerk entdecktest. Ich habe einen Bildband aus meinem Schottland-Urlaub 1999 mitgebracht, den ich heute noch sehr gerne durchsehe. Nichts besonderes, aber eben durch Emotionen so gebunden, dass der zweite Band des Fotografen nicht an die Bilder heran kamen, die ich zum ersten mal erblickte, als ich quasi direkt davorstand. Mit dem ersten wecke ich hingegen immer noch die Emotionen, die ich 1999 empfand.

    3. 2010/11/29 at 13:29

      Martin Hülle - Blog

      Antworten

      So, ich habe den neuen Bildband von Ragnar Axelsson heute bekommen. Der vordere (kleinere) Teil, zu Texten von Mark Nutall, ist mit farbigen Fotos bestückt, die auf den ersten Blick tatsächlich nicht die Intensität der bekannten Rax-Fotos haben, wie manche sie aus “Die Seele des Nordens” kennen. Der hintere und bei weitem größere Teil des Buches – ohne viel begleitenden Text – ist jedoch rein Schwarz/Weiss. Und die Bilder scheinen in einer Linie mit dem früheren Rax zu sein!

      Auch wenn ich mir noch kein endgültiges Urteil bilden kann, denke ich doch, dass dieser Bildband es wert gewesen wäre, mit Olaf den Weg über die Autobahn nach Kiel zu finden 🙂

    4. 2010/11/26 at 11:00

      Martin Hülle - Blog

      Antworten

      @Olaf
      Ah, stimmt, Du hattest es Dir ja gar nicht gekauft (es war ja nicht wert, den Weg über die Autobahn nach Kiel zu finden …), sondern hast nur reingesehen 🙂

      Merkwürdig, ich bekomme es in Kürze, dann schau ich mal, ob es nun Farbe oder S/W ist.

    5. 2010/11/26 at 10:41

      Martin Hülle - Blog

      Antworten

      Zum Rax-Buch:
      Auf der Seite des Verlags gibt es einen besseren Einblick in das Buch als bei Amazon: http://book2look.de/vBook.aspx?id=LSF9zK2qHu&euid=3041774&ruid=0&referURL=http://book2look.de

      Wie es aussieht, ist das Buch aber tatsächlich in Farbe und nicht S/W, wie die Fotos auf der Website von Ragnar Axelsson und auf YouTube vermuten lassen …

      Oder Olaf? Du hast es doch schon. Mmh – in S/W würde es mir wahrscheinlich auch besser gefallen …

      1. Benutzer-Avatar
        2010/11/26 at 10:52

        Olaf Bathke

        Antworten

        @martin: Ich bin sehr irritiert, weil ich meine die Fotos in SW gesehen zu haben. Tatsächlich kommen mir die Fotos aber irgendwie auch bekannt vor.

    6. 2010/11/26 at 10:33

      Manuel

      Antworten

      Was ist mit (spontan) Annie Leibovitz oder Sally Mann?
      Erstere scheint mir konstante Ergebnisse abzuliefern
      Letztere bringt durchaus Entwicklung, da könnte ein Fan eines früheren Bandes von den hinteren nichts mehr halten….oder umgekehrt, ist auch immer möglich
      Richard Avedon fällt mir noch ein

    7. 2010/11/26 at 10:13

      René Cortis

      Antworten

      Komische Vorschau auf Amazon.de… die dort gezeigten (Farb)Fotos passen irgendwie so gar nicht zu denen in der Diaschau… http://www.youtube.com/watch?v=u3yxDnaben4 … ich sollte mir doch erst den neuen Bildband von RAX holen und dann ein Urteil bilden 😉 @Martin Hülle: Danke für den Hinweis

    8. Pingback: OlafBathke

    9. 2010/11/25 at 16:40

      Laurenz

      Antworten

      Einen Teil des Dilemmas ist doch, dass der Künstler immer wieder neue Wege gehen möchte auch um sich weiter zu entwickeln, damit aber nicht immer gleichermassen den Geschmack seiner Bewunderer treffen kann. Das Interesse ist auch Motiv bedingt unterschiedlich.

      Um nochmals Josef Hoflehner zu nennen: Für mich ist (und bleibt) sein Iceland-Bildband einer seiner besten. Wiso? Ich persönlich kann ich der isländischen Landschaft mehr abgewinnen als Stadtlandschaften von Dubai oder anderen Grossstädten.

      Martin Hülle’s Frage ist darüber hinaus sehr berechtigt. Ist ein Bildband über Dubai als Fortsetzung zum Iceland-Bildband zu verstehen? Auch wenn sie eine Fortsetzung der fotografischen Tätigkeit von Josef Hoflehner ist, bin ich der Meinung Nein.

      Liebe Grüsse
      Laurenz

      PS: Kannst Du uns noch erklären was eine “Schrottflinte” ist? ; )

      1. Benutzer-Avatar
        2010/11/25 at 16:50

        Olaf Bathke

        Antworten

        @all: Das mit der Fortsetzung ist natürlich nicht ganz so starr zu sehen. Was Herrn Hoflehner angeht, so finde ich schon, dass seine Bildbände Fortsetzungen sind. Den habe ich übrigens mal zufällig an der Südspitze Islands kennengelernt.

    10. 2010/11/24 at 15:01

      Martin Hülle - Blog

      Antworten

      So ganz kann ich Deine Argumentation nicht nachvollziehen. Du sprichst von Fortsetzungen … aber kann man bei Büchern, die dann meist/oft etwas völlig neues/anderes behandeln als das vorige, von Fortsetzungen sprechen? Du erwartest also, dass jedes neue Buch eines Fotografen besser als das vorherige, zumindest jedoch gleichwertig ist? Mmh, ist das realistisch und wirklich “nötig”? Und wenn Du deine These von der reinen Buchveröffentlichung entkoppelst, trifft das auch auf die Fotografie an sich zu. Ob sich ein Fotograf überhaupt noch weiter entwickeln kann, wenn er einmal gut war. Ob er noch etwas veröffentlichen “darf”, wenn es es dann vielleicht weniger gut ist.

      “Die Seele des Nordens” von Ragnar Axelsson habe ich natürlich auch. Und ich war schon sehr gespannt auf sein neues Buch, von dem ich gerade erst hier über Dich erfahre. Der Blick ins Buch bei Amazon ist wirklich ernüchternd. Aber sind nicht auch die Bilder darin, die auf seiner Website zu sehen sind? Die machen zumindest dort einen nicht so schlechten Eindruck: http://rax.is/Gallery/Last_Days/index.html

      Ich denke schon, dass es Fotografen gibt, die “Fortsetzungen” können. Ein Beispiel ist Olaf Otto Becker. Sein erstes Buch (“Unter dem Licht des Nordens”) war schon ganz gut, wurde aber von den beiden folgenden (“Broken Line” und “Above Zero”) bei weitem übetroffen. Interview mit ihm hier: http://www.stadtlandflucht.de/?p=1000

      Ragnar Axelssons neues Buch werde ich mir wahrscheinlich dennoch anschaffen 🙂

    11. 2010/11/24 at 11:41

      Hauke

      Antworten

      Yo Olaf, die letzten die eine ‘Fortsetzung’ in meinen Augen geschafft haben, waren Sam Abell mit ‘Seeing Gardens’ und ‘Australia’ und Sebastião Salgdo mit eigentlich allen seinen Büchern…

      Hauke

    12. 2010/11/24 at 11:29

      Jo

      Antworten

      Bitte Amazon-Link entfernen; nicht dass es doch noch jemand (versehentlich) kauft… ;-))

      Meintest Du mit dem heiligen Gral “Faces of the North”? Dürfte schwer erhältlich sein…?

      1. Benutzer-Avatar
        2010/11/24 at 11:39

        Olaf Bathke

        Antworten

        @jo: ich fordere alle auf da nicht das buch zu kaufen. gerne was anderes, dann schaffe ich nach 1 jahren affiliate vielleicht soch noch einmal an die auazahlungssumme heranzukommen. 😉

    13. 2010/11/24 at 11:21

      René

      Antworten

      Ufff…

      hier zu Hause steht auch “Die Seele des Nordens” und ich kann behaupten, seine Magie lasst das gesamte Bücherregal erstrahlen. Habe das Buch gerade mal bei Amazon durchgeblättert und wenn ich ehrlich bin, muss ich dir voll und ganz zustimmen. Nahezu alle Fotos sind ausdruckslos und weit entfernt von denen aus “Die Seele des Nordens”.

      Manchmal habe ich das Gefühl, dass so mancher Fotograf, der vor einigen Jahren “analog” spitze war, den Sprung in die “digitale” Welt nicht geschafft/gefunden hat. Das ist zumindest mein Eindruck aber ich weiß nicht woran es liegen könnte. Vielleicht daran, dass einen mehr gute Fotografien über’s Internet zugänglich sind und sich das Niveau dadurch verändert hat? Vielleicht hat das aber auch gar nichts miteinander zu tun.

    14. 2010/11/24 at 08:01

      Danny

      Antworten

      Wenn ein Fotograf so gut ist, dass Konsumenten sein Werk mich sich herumschleppen, kann es für den Stil keine Fortsetzung geben, da er zum Maßstab geworden ist.

      1. Benutzer-Avatar
        2010/11/24 at 08:03

        Olaf Bathke

        Antworten

        @Danny: Das Buch war in einer Ortliebtasche versiegelt, damit es bei den Fahrten durch die Flüsse nicht nass werden konnte.

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