Tipps und Tricks

Fotografie: Das Komponieren von Stille

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Cutting the strings in a sea of sadness

Musik und Stille

Eines meiner Lieblingsthemen ist die Ähnlichkeit der Kunstform Fotografie mit der Kunstform Musik. Viele Dinge in der Fotografie konnte ich erst richtig begreifen, dadurch dass ich sie in der Musik begriffen habe. Dies gilt besonders für das Komponieren von Stille.

Stille ist in der Musik leichter zu begreifen, als in der Fotografie. Das Klavier und die Geige sind in der Musik das, was die Fotokamera in den visuellen Kunstformen ist. Allen drei Geräten ist gemein, besonders gut Stille komponieren zu können. Stille fällt in der Musik allerdings mehr auf als in der Fotografie. Die Stille ist in der Musik deutlicher, als in anderen visuellen Kunstformen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Fotografie und Musik

Musik ist auf einer Zeitschiene fortlaufend, ein Foto suggeriert hingegen das Gefühl von einem Moment. In der Musik kann in einem Moment tatsächlich mal „Nichts“ sein, das empfindet der Zuhörer dann meist als Stille. Die Stille wird in der Musik immer von Tönen eingerahmt und begrenzt. Musik ohne Töne wäre schwer Musik zu nennen. Stille entsteht in der Musik also durch eine Reduzierung der musikalischen Reize. Stille ist kein statischer Zustand, sie ist vielmehr ein Prozess. Sie kann es ohne Reize nicht richtig geben. Stille ohne Reiz wäre vielmehr Leere. Und Leere sehe ich als nicht mehr wahrnehmbar an.

Stille ist für den Menschen von wichtiger Bedeutung

Stille ist das Reduzieren von unterschiedlichsten Reizen, die auf einen Menschen einwirken können. Der Mensch hat den Reflex, sich permanent orientieren zu wollen. Orientierung geschieht vor allen Dingen durch Reizaufnahme und Reizverarbeitung.

Sind keine Reize vorhanden, so lauscht der Mensch reflexartig in sich hinein. Weshalb es schwer wird, von völliger Stille zu sprechen. Es bleiben immer noch die inneren Reize, die der Mensch wahrnehmen kann.

Die Sehnsucht nach Stille

Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Stille bzw. danach „In- Sich- Hineinzuhören“. Reizüberflutung und Informationsflut sind Faktoren, die dieses „In- Sich- Hineinhören“ erschweren. Der Mensch hat Filter, Reizbombardements abzublocken. Filtern geht allerdings auf Kosten des Erlebnisses der Wahrnehmung. Reizreduzierung ist der eigentliche Königsweg für tiefe innere Zufriedenheit durch „In- Sich- Hineinhören“.

In solchen Momenten werden Gedichte geschrieben!

Die norwegische Sängerin Kari Bremnes beschrieb diesen Königsweg mal so:

„Auf einer langen Wanderung im norwegischen Fjell kommt irgendwann immer der Moment, in dem ich mein eigenes Herz schlagen höre.“

Poetischer kann man das kaum ausdrücken.

Der Mensch ist auf der Suche nach Stille

Die Meditation ist eine klassische Disziplin, Reize zu reduzieren, damit der Mensch in sich hineinhorchen kann. Moderne Menschen nehmen auch schon mal ein Bad in einer Reizreduzierungsröhre.

Gelingt es dem Menschen, in sich hineinzuhören, so ist er innerlich berührt. Er hat ein Gefühl von Wahrheit bzw. Authentizität und wertschätzt das Erlebnis als etwas Besonderes. Menschen haben eine tiefe Sehnsucht, nach einem solchen Zustand innerer Berührung, nach dieser Wahrheit bzw. Authentizität.

Die Fotografie ist ein gutes Medium, Stille zu produzieren

In bezug auf visuelle Kunstmedien sehe ich die Fotografie persönlich als das Medium, das am geeignetsten ist, authentische Stilleerlebnisse zu produzieren. Warum ist das so:

  • Ein Foto besteht schon einmal per se nicht aus Geräuschen, Tönen oder Melodien.
  • Ein Foto fokussiert den Blick auf eine feststehende, sich nicht bewegende Situation. Außenstehende Reize werden ausgeschaltet.
  • Das Foto gewinnt eigentlich immer an Wert, wenn man es nach dem Prinzip komponiert: Weniger ist mehr.
  • Ein Foto ist in den meisten Fällen ein Abbild von Wahrheit bzw. Authentizität.

Wie in der Musik, so wird in der Fotografie Stille vor allen Dingen durch die Reduzierung von Reizen produziert. Weniger ist mehr, das sollte der Leitspruch eines jeden ambitionierten Fotografen sein. Auch in der Fotografie gäbe es wie in der Musik keine Stille ohne einen Reiz. Ein Foto ohne zusammenhängende Reize wäre schlicht und ergreifend leer. Und so eine Leere wäre nicht gleich Stille. Ein gutes Foto benötigt Reize, um Stille zu komponieren.

Stille Fotos kommen bei den meisten Menschen gut an. Das liegt an der oben beschriebenen Sehnsucht nach Stille. Menschen fühlen sich durch eine solche Stille meistens innerlich berührt. Aber auch mich als Fotograf berührt die Stille in der Fotografie.

Ein bisschen halte ich es wie Kari Bremnes: Bei längeren Aufenthalten in der Natur komme ich dazu, in mich hineinzuhören. Fühle ich mich innerlich von der Natur berührt, so mache ich mir ein Bild. Wenn ich anschließend meinem Publikum mit so einem Bild ein Gefühl von innerer Berührung beschere, dann weiß ich warum ich so gerne fotografiere.

Stille ist kein einfältiges Thema

Meine persönliche Überzeugung ist, dass unser Denken maßgeblich auch den Tiefgang unserer Fotografie bestimmt. Es ist spannend, die Zitate von Fotografen mit Weltruhm zu studieren. Die Zitate machen deutlich, wie tiefgründig die Fotografen Ihre Arbeit gedanklich erfasst haben.

Stille ist in der Fotografie ein tiefer gehendes Phänomen. Wer Stille begreift und erfährt, wird seinen Fotografierstil besser verstehen bzw. einordnen können, hat eine Chance auf Weiterentwicklung. Manchmal ist es einfach erforderlich, das man über schwierige Dinge nachdenkt und die Zusammenhänge begreift.

Wer einfältig denkt, der wird auch einfältig fotografieren.

Was könnte Euch helfen, Stille zu komponieren:

So tiefgründig dieses Thema ist, so schwer fällt es mir an dieser Stelle Ratschläge zu geben. Eine umfassende Würdigung und Auseinandersetzung wäre eigentlich Inhalt eines kompletten Workshops oder eines persönlichen Coachings.

Vielleicht habt Ihr bei Eurer nächsten Fototour Lust auf ein kleines Experiment:

Sucht Euch eine Szenerie, ein Motiv. Stellt Eure Kamera auf ein Stativ, zoomt heran, geht näher heran, vergrößert die Blende, arbeitet kreativ mit dem Licht und reduziert Reize und Objekte. Lasst Euch vor allen Dingen Zeit. Wenn ich draußen in der Natur arbeite, so benötige ich manchmal mehr als eine Stunde, um die Einstellungen der Kamera so zu haben, wie ich sie möchte. Reduziert die einzelnen Bildelemente durch Eure fotografischen Gestaltungsmöglichkeiten solange, bis Ihr das Gefühl habt, dass das Foto keine Botschaft bzw. keine Bedeutung mehr hat.

Dann geht Ihr in Eurer Kompositions- Historie einfach einen Schritt zurück und macht das Foto.

Vielleicht hat der eine oder andere Lust, dieses Experiment, einmal auszutesten und in seinem Blog oder im Kommentar darüber zu berichten. Das sind Eindrücke von denen wir alle etwas lernen können. Ich bin neugierig…




22 Comments

  1. Pingback: Sam Abell – The Life of a Photograph | Olaf Bathkes Arbeit als Fotograf und Hochzeitsfotograf in Kiel und Hamburg

  2. Pingback: Björn Rohles

  3. 2009/02/09 at 17:01

    stefan

    Antworten

    sehr ansprechender Artikel, Olaf, gefällt mir gut und inspiriert mich sehr – Stille ist meiner Meinung nach in der heutigen Zeit lebenswichtig und viel zu selten anzutreffen.

  4. Pingback: Wochenrückblick 06/2008 « lens-flare.de Fotoblog

  5. Pingback: Websafari: 2. - 8. Februar 2009 | visuelleGedanken.de - Fotografie und Gezeichnetes

  6. Pingback: Im Blickwinkel: Fetische, Valentinstag und visuelle Worterklärungen » von Besim Mazhiqi » photoappar.at

  7. Benutzer-Avatar
    2009/02/07 at 20:14

    Olaf Bathke

    Antworten

    @Claudia: Vielen Dank für Deinen Beitrag und den Link, stille Fotos sind das, ja

  8. 2009/02/07 at 14:44

    Claudia

    Antworten

    Ein sehr schöner Artikel, Olaf – spricht mir sozusagen aus der Seele. Vor allem, da mich gerade die beiden Themen (Musik, genauer: Klavier, und Fotografie) beide interessieren und ich sie nicht zusammengebracht habe.

    Passende Bilder zum Thema Stille hab ich mal gebloggt: http://is.gd/ixYN. Bei dieser Fototour in meiner Umgebung war es so ähnlich, wie du beschreibst: Ich habe lange meditativ an einer Stelle verharrt, bis die Bilder sich mir von selbst erschlossen.

  9. Pingback: zrendavir

  10. 2009/02/06 at 15:44

    CmodulBaresi

    Antworten

    Klasse!Freu mich drauf!

  11. Benutzer-Avatar
    2009/02/06 at 15:23

    Olaf Bathke

    Antworten

    @CmodulBaresi: Gerne wieder, meine Redaktionsliste hat zur Zeit ca. 40 Ideen für Artikel

  12. 2009/02/06 at 15:03

    CmodulBaresi

    Antworten

    Stille zu ertragen ist eine Kunst. Die Stille der Natur halte ich auch für die beste Lehrmeisterin, deren Impulse ich gerne folge. Danke für diese mal wieder sehr einfühlsam formulierte “Gebrauchsanleitung”:-)Ich werde es ausprobieren.

  13. Benutzer-Avatar
    2009/02/06 at 14:08

    Olaf Bathke

    Antworten

    @Inga: Genaus empfinde ich das natürlich auch.
    @Björn: Manchmal denke ich, dass meine Artikel und Themen für einen Blog zu lang sind
    @Maya: Poesi

  14. 2009/02/06 at 13:21

    maya fielitz

    Antworten

    Wunderschön. Ich tauche in deine Stimmung ein. Sie ist pur und nackt.

  15. 2009/02/06 at 13:02

    Björn Kraus

    Antworten

    Sehr schöner Artikel. Leicht esoterisch angehaucht, aber sehr gut auf dne Punkt kommend und auf jeden Fall sehr inspirierend…

  16. 2009/02/06 at 11:00

    Inga Wocker

    Antworten

    bei mir ist es eher umgekehrt, ich bin in der Natur, gehe hinein in die Stille, werde selbst ganz still, dann kommen mir die Bilder entgegen, bieten sich an und ich fange sie ein. Stille ermöglicht mir eine bessere Wahrnehmung, Blick fürs Detail, für die Schönheit, die da in unmittelbarer Nähe permanent da ist.

  17. Benutzer-Avatar
    2009/02/05 at 23:19

    Olaf Bathke

    Antworten

    @Guido Aus dieser Richtung kann man es natürlich auch Betrachten.
    @Christian Wir sprachen bereits davon…

  18. Pingback: OlafBathke

  19. 2009/02/05 at 20:50

    Guido

    Antworten

    Etwas esoterisch – aber ein gutes Thema. Stille, Weite, Leere sind auch die Gründe, warum ich Länder wie Namibia so liebe. Fern von fast allen unseren zivisilatorischen Errungenschaften und fern der totalen akustischen und visuellen Reizüberflutung lernt man gerade dort im Nichts recht viel.

    Eines meiner Lieblingszitate zum Thema Gestaltung passt zum fotografischen Kontext hier auch ganz gut: “Wir haben die Welt so angefüllt, vollgepackt und zugestellt, dass wir kaum noch Platz darin haben. In dieser Welt fällt nur noch das Gegenteil auf: die Reduktion.”

  20. 2009/02/05 at 11:52

    Christian

    Antworten

    Kurz und bündig: Sehr klasse! Zeigt es doch auch wieder einmal, worum es in Bilder doch eigentlich geht: um Emotionen! Danke Olaf!

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